Gebäudeschätzung im Inselspital
Oberstes Ziel der Gebäudeversicherung Bern (GVB) ist es, dass alle Gebäude im Kanton Bern wertrichtig versichert sind. Das gilt für Einfamilienhäuser genauso wie für Grossgebäude wie das Anna-Seiler-Haus des Inselspitals Bern. Wie die Gebäudeschätzung ablief und was sie so spannend machte, erzählten uns Roger Kurt und Markus Wasmer auf einem Rundgang.

Seit knapp zwei Jahren wird in dem Anna-Seiler-Haus, dem neuen Hauptgebäude des Inselspitals Bern, gearbeitet.
Um im Schadenfall nicht unterversichert zu sein, wird für jedes Gebäude im Kanton Bern ein wertrichtiger Versicherungswert von der Gebäudeversicherung Bern (GVB) eruiert
Den Versicherungswert erhält man anhand einer Gebäudeschätzung. Schritt 1: Gut vorbereiten. Schritt 2: Abgrenzungsliste erfassen. Was ist über die GVB versichert und was nicht? Schritt 3: Versicherungswert anhand von Berechnungen, Gesprächen und Vor-Ort-Eindrücken definieren.
Roger Kurt steht in der Eingangshalle des Anna-Seiler-Hauses. Es ist ruhig an diesem Morgen im Februar 2025, ein paar Menschen sitzen auf den knallgelben Sofasesseln und warten oder telefonieren. Ein älterer Mann erkundigt sich beim Schalter nach dem Weg durch das weitläufige Insel-Areal. Eine lange Rolltreppe und mehrere Lifte führen nach oben in die 18 Stockwerke, wo täglich unzählige Patient:innen diagnostiziert, behandelt und operiert werden.
Roger Kurt ist Architekt und arbeitet seit bald 16 Jahren nebenamtlich für die Gebäudeversicherung Bern (GVB) als Schätzungsexperte. Er trifft sich hier mit Markus Wasmer, Projektleiter Infrastruktur der Insel Gruppe, für einen vorerst letzten Rundgang durch das Anna-Seiler-Haus. Gemeinsam haben sie die Gänge und Räume in der letzten Bauphase bis im Sommer 2023 bereits auf etlichen Rundgängen abgeschritten. Ihr Ziel: das neue Gebäude wertrichtig zu schätzen. Eine wertrichtige Versicherungssumme ist deshalb so wichtig, weil sie festlegt, wie viel man im Schadenfall von der GVB für die Wiederherstellung eines Gebäudes erhält.
Als Projektmanager war Markus Wasmer für die Baurealisation des Anna-Seiler-Hauses mitverantwortlich. Er kennt jede Besonderheit des Gebäudes und half den Schätzungsexperten mit seinem Wissen. Aufgrund der enormen Dimension des Spitalgebäudes war auf den Rundgängen auch Andy Ryf, technischer Kundenbetreuer bei der GVB, mit von der Partie.
Die Versicherungssumme wird anhand einer Gebäudeschätzung ermittelt. Bei einem Einfamilienhaus dauert dies ungefähr 45 Minuten. Ein:e Schätzungsexpert:in der GVB kommt vorbei und macht sich vor Ort ein Bild vom Zustand und vom Ausbaustandard des Hauses. Wie funktioniert das bei einem Gebäude wie dem Anna-Seiler-Haus? Genau das haben wir Roger Kurt und Markus Wasmer gefragt und wir durften ihnen bei ihrem vorerst letzten Rundgang durchs Gebäude über die Schultern schauen.

Kunst am Bau oder einfach eine Lichtinstallation?
Roger Kurt und Markus Wasmer führen uns zum Lift, der uns in den Stock N bringt. Das Geschoss N ist eines der neun Patientengeschosse – bis zu 532 Patient:innen können auf diesen Etagen in Einzel- oder Zweibettzimmern versorgt werden. Heute herrscht kein Betrieb – die Etage wird gerade einer Grundreinigung unterzogen.
Die Gebäudeschätzung des Anna-Seiler-Hauses sei aufgrund seiner Grösse und Komplexität herausfordernd gewesen, sagt Roger Kurt rückblickend. «Entsprechend war es wichtig, systematisch vorzugehen. Dazu gehört eine gute Vorbereitung.» In einem ersten Schritt studierte Roger Kurt die exakten Planungsunterlagen und die Kostenübersicht. Aufgrund seiner Grösse teilte der Schätzungsexperte das Anna-Seiler-Haus in verschiedene Bereiche ein, je nach Komplexität der verbauten Gebäudetechnik. Für jeden Bereich legte Kurt das Volumen fest und einen Preis pro Kubikmeter Raum.
In einem zweiten Schritt erstellen Roger Kurt und Andy Ryf eine sogenannte Abgrenzungsliste. «Es geht darum, herauszufinden, was nicht fester Bestand des Gebäudes ist», erklärt Roger Kurt. Er erzählt, wie er jeweils zusammen mit Andy Ryf und Markus Wasmer Detektiven gleich durch die Gänge gegangen sei und festgelegt habe, was über die GVB versichert ist und was nicht. Was nicht über die GVB versichert ist, kam auf die Abgrenzungsliste.
«Bei einigen Dingen gab es durchaus Diskussionen», erzählt Markus Wasmer. Beispielsweise bei der Lichtinstallation «LOOPS», dem Blickfang in der Empfangshalle. Er zeigt auf die imposante und doch filigrane Struktur, die man von der Patientenetage aus durch eine Glaswand bestens beobachten kann: 24 beleuchtete Aluminiumringe hängen hier an fast unsichtbaren Drähten und verändern im Laufe des Tages einer Symphonie gleich ihre Position.
«Die Installation wirkt beruhigend», sagt Markus Wasmer – er beobachte oft, wie Patient:innen lange stehen blieben und die schwebenden Lichtringe beobachteten. Bei der Installation sei anfangs jedoch nicht klar gewesen, ob sie über die GVB versichert ist oder nicht. «Nach einigem Hin und Her entschieden wir, dass sie über die GVB versichert ist», bestätigt Roger Kurt.
Versichert oder nicht? Blick ins Patientenzimmer
Markus Wasmer führt uns in ein Spitalzimmer. Durch grosse Fensterfronten sieht man die Stadt Bern. Helle Farben sowie eine schlichte und funktionale Architektur sorgen für eine freundliche Stimmung. Markus Wasmer und Roger Kurt erinnern sich sofort an die Diskussionen, die sie in diesen Zimmern geführt haben. Markus Wasmer zeigt auf die fest mit der Wand verbundenen Monitore, die den Patient:innen zur Kommunikation zur Verfügung stehen. Gehören diese zum Gebäude und sind entsprechend über die GVB versichert? «Nein, das tun sie nicht», sagt Roger Kurt. Ebenso wenig wie die Vorhänge, die im Zweibettzimmer für Privatsphäre sorgen. Dass ein Versicherungswert korrekt sei, sei für beide Seiten wichtig, sagt Roger Kurt. «Wir verlassen einen Raum deshalb erst, wenn wir uns geeinigt haben.»



Das Technikgeschoss – das Herz hinter den Wänden
Die Technikräume liegen fern der Patient:innen im zweiten Untergeschoss des Anna-Seiler-Hauses. Doch so versteckt sie sind – so zentral sind sie fürs Wohlbefinden der Menschen, die in den über 3’000 Räumen des Anna-Seiler-Hauses arbeiten, behandelt oder gepflegt werden.
Markus Wasmer öffnet eine Hintertür, sie führt in ein kühles Treppenhaus. Und von da in schlichte Gänge. Etliche Kilometer Rohre und Leitungen ziehen sich an den Wänden und den Decken entlang. Sie bringen warmes Wasser in die oberen Geschosse, Sauerstoff an die Betten der Patient:innen und frische Luft in Aufenthaltsräume. Raumfüllende Generatoren warten im nächsten Raum surrend auf ihren Einsatz – sie würden im Falle eines Stromausfalls dafür sorgen, dass der Spitalbetrieb während mindestens 36 Stunden nahtlos weiterläuft. So hochwertig und komplex die Technikgeschosse seien, so einfach sei deren Schätzung, sagt Roger Kurt. Denn Gebäudetechnik sei grundsätzlich versichert.






Täglich 700 Rohrpost-Sendungen
Immer wieder hört man ein schnelles Rauschen, das sich entlang der Decken der Gänge zieht und rasch wieder entfernt. Doch in diesen neuen Wänden rascheln nicht die Mäuse – es sind Rohrpost-Sendungen, die mit Laborproben oder Medikamenten kreuz und quer durchs Gebäude sausen.
Mit sichtlicher Freude zeigt uns Markus Wasmer jenen Raum, in dem diese Rohre zusammenkommen: Es ist der Rohrpostbahnhof, der sich über drei Stockwerke hinzieht. Über 700 Sendungen sausen täglich durchs Röhrenlabyrinth und wechseln hier in jene Röhre, die sie zu ihrem Ziel bringt.
Auch Roger Kurt bleibt fasziniert stehen und schaut den Sendungen beim Vorbeischnellen zu. Die Technik in diesen Räumen sei komplex, sagt er. Für die Gebäudeschätzung hätten sie jedoch eher wenig Stoff für Diskussionen gegeben, denn: «Gebäudetechnik gehört zum Gebäude dazu und ist versichert.»
Letzter Schritt: den Versicherungswert definieren
Nach gut zwei Stunden stehen Roger Kurt und Markus Wasmer wieder im Empfangsbereich des Anna-Seiler-Hauses. Roger Kurt erzählt uns, dass er und Andy Ryf basierend auf den Berechnungen, den Gesprächen und den Vor-Ort-Eindrücken den Versicherungswert für das Anna-Seiler-Haus festlegen konnten. Egal ob für ein Einfamilienhaus oder ein Grossgebäude, dieser Schritt sei mit einer grossen Verantwortung verbunden. Denn der eruierte Wert gibt an, wie viel die GVB im Schadenfall maximal ausbezahlt. «Es handelt sich um eine Schätzung», hält Roger Kurt fest. «Doch verschätzen dürfen wir uns auf keinen Fall.»