Feuerwehr als Tragehilfe
Wenn ältere Menschen oder schwere Personen einen medizinischen Notfall haben, rücken immer öfter neben den Rettungsdiensten auch die Feuerwehren als Tragehilfen aus. Einblick in eine moderne Milizfeuerwehr im Wandel der Gesellschaft.

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etextera
In Kürze
Bei medizinischen Notfällen rücken im Kanton Bern nebst den Rettungsdiensten immer öfter auch die Feuerwehren als Tragehilfen aus. 2024 gab es 388 solcher Trageeinsätze.
Bei einem Trageeinsatz helfen Feuerwehren Personen, die in den eigenen vier Wänden gestürzt sind, wieder aufzustehen. Oder sie unterstützen medizinische Rettungsteams dabei, schwere Personen in die Ambulanz zu tragen.
Grundsätzlich gilt: Lieber einmal zu viel alarmieren als einmal zu wenig. Und doch lohnt es sich – sofern der Notfall es zulässt – kurz innezuhalten und zu überlegen, ob noch jemand anderes aus der Nachbarschaft oder der Familie helfen könnte.
Das Malheur ist rasch passiert: Marta M. hat sich gerade noch einen Tee eingeschenkt, als es an der Türe läutet. Etwas zu schnell steht die 88-Jährige, die allein in ihrer kleinen Wohnung inmitten der Thuner Altstadt wohnt, vom Küchentisch auf, verliert das Gleichgewicht und stürzt. Auch die Spitexpflegerin, die gerade das Essen vorbeibringt, kann ihr nicht aufhelfen. Zu eng ist es in der kleinen Küche. Zu viel Gewicht müsste sie stemmen, um Marta M. wieder aufzusetzen. Sie ruft die Feuerwehr zu Hilfe.
388 Trageeinsätze im Jahr 2024
Die Geschichte von Marta M. ist frei erfunden. Und doch ist sie sehr real: Insgesamt sind die Feuerwehren des Kantons Bern im vergangenen Jahr 388-mal ausgerückt, um einer gestürzten Person in den eigenen vier Wänden aufzuhelfen. Oder um medizinische Rettungsteams dabei zu unterstützen, eine schwere Person in die Ambulanz zu transportieren. Die Anzahl solcher Trageeinsätze ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Noch im Jahr 2021 rückten die Feuerwehren im Kanton Bern nur 91-mal als Tragehilfen aus – viermal weniger als heute. Wie ist dieser enorme Anstieg zu erklären? Wohin führt der Trend in Zukunft? Und was bedeutet diese Entwicklung für die Feuerwehren?

Im Jahr 2024 wurde bislang die höchste Anzahl Einsätze wegen medizinischer Notfälle verzeichnet.
Mehr ältere Menschen in eigenen vier Wänden
Diese Fragen stellen wir Christian Bieri, dem Leiter Einsatz und Ausbildung der Berner Feuerwehren bei der GVB, und Roland Gfeller, dem Kommandanten der Feuerwehr Thun. Beim Gespräch wird rasch klar: Die Entwicklung hängt mit vielen verschiedenen Faktoren zusammen.
Die Demografie spricht eine klare Sprache: Laut Bundesamt für Statistik wird im Jahr 2050 jede vierte Person in der Schweiz über 65 Jahre alt sein. Im Jahr 2000 traf dies erst auf jede sechste Person zu. Viele von ihnen sind bis ins hohe Alter rüstig und wünschen sich, in ihrem Zuhause alt zu werden. Doch was, wenn etwas passiert?
Was bedeutet eigentlich Milizsystem?
Die insgesamt 160 Feuerwehren im Kanton Bern sind als Milizorganisationen organisiert. Das bedeutet: Die Feuerwehrleute gehen im Alltag einem Beruf nach und werden im Ernstfall von der Einsatzleitung aufgeboten. Wie viele Feuerwehrleute jeweils am Einsatzort eintreffen, hängt unter anderem von der Grösse der Feuerwehr und des Einsatzgebietes, aber auch vom Alarmierungszeitpunkt ab. Damit im Notfall genügend Personen am Einsatzort sind, werden jeweils mehr Leute aufgeboten, als tatsächlich nötig wären.
Milizfeuerwehren nicht unnötig als Tragehilfe belasten
Diese Fragen stellen wir Christian Bieri, dem Leiter Einsatz und Ausbildung der Berner Feuerwehren bei der GVB, und Roland Gfeller, dem Kommandanten der Feuerwehr Thun. Beim Gespräch wird rasch klar: Die Entwicklung hängt mit vielen verschiedenen Faktoren zusammen.
Die Demografie spricht eine klare Sprache: Laut Bundesamt für Statistik wird im Jahr 2050 jede vierte Person in der Schweiz über 65 Jahre alt sein. Im Jahr 2000 traf dies erst auf jede sechste Person zu. Viele von ihnen sind bis ins hohe Alter rüstig und wünschen sich, in ihrem Zuhause alt zu werden. Doch was, wenn etwas passiert?
Feuerwehren und Rettungsdienste arbeiten Hand in Hand
Das Phänomen, dass die Feuerwehren immer häufiger zu Trageeinsätzen gerufen werden, beobachtet auch Thuner Feuerwehrkommandant Roland Gfeller – insbesondere im urbanen Raum: «In ländlichen Gebieten helfen sich die Menschen noch eher gegenseitig. Da packt auch jemand Ausstenstehendes mit an, um einer Rettungssanitäterin beim Tragen zu helfen.» Ist kein unterstützendes Umfeld vorhanden, arbeiten medizinische Rettungsdienste und Feuerwehren immer öfter zusammen.
Diese Zusammenarbeit funktioniere sehr gut, sagt Gfeller – nicht zuletzt dank gemeinsamer Übungen: «Es ist wichtig, dass sich die unterschiedlichen Partner gemäss ihren Möglichkeiten und Stärken gegenseitig unterstützen.» Aber auch Gesellschaft und Politik müssten die Folgen der zunehmenden Alterung analysieren und gemeinsam ganzheitliche und tragbare Lösungen für alle Beteiligten erarbeiten.

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Feuerwehren und Rettungsdienste sollten sich gemäss ihren Möglichkeiten und Stärken unterstützen.
Roland Gfeller
Kommandant, Feuerwehr Thun

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Feuerwehren und Rettungsdienste arbeiten Hand in Hand. Wie hier nach einem schweren Verkehrsunfall.
Trageeinsätze sind oft psychisch belastend
Auch die Feuerwehren des Kantons Bern gehen das Thema an. «Wir passen uns laufend an die gesellschaftlichen Veränderungen an», sagt Bieri. So würden Einsatzleitende heute beispielsweise für Trageeinsätze jeweils eher kleinere Gruppen alarmieren, damit nicht zu viele Feuerwehrleute aufgeboten würden.
Bieri will auch die Ausbildung entsprechend anpassen, denn die Einsätze zur Tragehilfe seien emotional oft herausfordernd: «Wir sehen Dinge, mit denen wir bisher in der Feuerwehr nicht konfrontiert waren.» Etwa der Anblick stark verwahrloster und einsamer Menschen. Noch schwieriger sei es, wenn man die betroffene Person oder deren Angehörige kenne, sagt Bieri – und dies sei bei Einsätzen kleiner Ortsfeuerwehren nicht selten der Fall. Solchen psychischen Mehrbelastungen will er künftig in der Ausbildung mehr Gewicht geben.
Notfall: Was jetzt?
Grundsätzlich gilt: Lieber einmal zu viel alarmieren als einmal zu wenig. Und doch lohnt es sich – sofern der Notfall es zulässt – kurz innezuhalten: Könnte vielleicht auch ein Nachbar helfen? Gibt es andere Personen, die kurzfristig vor Ort sein könnten? Am besten rüsten Sie sich bereits im Vorfeld für den Notfall:
- Klären Sie ab, welche Personen Sie im Notfall anrufen dürfen – auch nachts.
- Machen Sie eine Liste mit privaten Notfallnummern und platzieren Sie diese gut sichtbar.
- Deponieren Sie einen Zweitschlüssel für Notfälle bei einer Person in der Nähe.
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